Rezensionen / Presse zu «Grosse Gefühle»

Fred Zaugg, "Der Bund", 22. September 1999

Ein Gewebe aus vielen Geschichten

«Grosse Gefühle» heisst der neue Film des Berners Christof Schertenleib, der heute Abend im Kino Club die ausverkaufte festliche Premiere in Anwesenheit der ganzen Crew hat und ab morgen im Kino Splendid läuft – eine heitere, bedenkenswerte Begegnung mit ein paar Menschen aus unserem Alltag, die wir eigentlich kennen sollten.
Grippe und eine störrische Ziege in der Abgeschiedenheit des Juras und wenig Vertrauen erweckende Schicksalskarten auf einem Tisch in einer Wiener Wohnung: Dennoch haben wir Bernerinnen und Berner den Vorteil, dass wir, abgesehen von diesen Aussenpositionen, meistens zuhause sind, sei es im Brückfeld, beim Zytglogge oder am Bahnhof. Wir kennen die Altstadt und die Schlafstadt, die kleine und die grosse Buchhandlung, die Kornhausbrücke und die Unitobler. «Grosse Gefühle» von Christof Schertenleib ist für uns ein Heimspiel - wenigstens zu einem ansehnlichen Teil.

Soziologin und Buchhändler
Und dies, obwohl die wichtigsten Hauptpersonen gar nicht bernischen Ursprungs sind. Die 32-jährige Christa ist Deutsche und Soziologin und arbeitet an ihrer Dissertation, wobei künstlichen Krisen und ihrer Bewältigung eine wichtige Rolle zukommt. In echte – oder sind es am Ende doch auch künstliche – Krisen verwickelt ist dagegen der Österreicher Linus, welcher gerne mit Christa ein unzertrennliches Paar wäre, jedoch in Wien Frau und Sohn hat, die er einst wegen einer Märchenfee in Richtung Bern verliess. Christa und Linus haben eine Gemeinsamkeit: beide sind überzeugt - sie von der Polygamie, er von der Monogamie.
Es gibt auch noch ein weniger überzeugtes, dafür aber umso überzeugenderes Paar, ist es doch von Anfang an auf die grossen stillen Gefühle und die romantische Liebe aus: Sybil und Franz. Sie haben eine Gemeinsamkeit mit Linus: Alle drei verdienen das Brot im Buchhandel. Und damit sind sie auch irgendwie mit dem Filmautor Christof Schertenleib verwandt, der selbst zusammen mit Michael Glawogger das Drehbuch zu «Grosse Gefühle» schrieb und schon immer Buchhändler werden wollte, wenigstens dann, wenn es schwierig und sehr mühevoll war, ein Schweizer, ein Berner Filmschaffender zu sein. Man könnte ihn sich auch gut als Weber vorstellen. Dann wären beispielsweise die vier erwähnten Personen und noch einige andere dazu die Zettel, in die er geschickt das bunte Garn seiner Geschichten webt, bis diese schliesslich zu einem Gruppenbild werden, das vordergründig nach einem Happyend in Liebe aussieht, auf der Rückseite jedoch die unvernähten Fäden im heutigen Beziehungsstress ahnen lässt – und beidseitig amüsiert.

Fernmündlich und hautnah
Wer jetzt an einen Teppich aus dem Heimatwerk denkt, liegt falsch. Christof Schertenleibs Heldinnen und Helden sind Menschen von heute, die fernmündlich und hautnah verkehren, wohl keine Ideologien mehr haben, dafür aber Geschäftssinn und Köpfchen, dadurch aber bei weitem nicht gefeit sind vor so altertümlichen Dingen wie Sehn- und Eifersucht, Tag- und Nachttraum, Angst und Freude.
Franz verkauft in der Genossenschaftsbuchhandlung die ganze «Geschichte» von den Anfängen bis zu Jean Ziegler an zwei Romanfiguren, und Christa kann nicht verstehen, dass ein Versuchskaninchen für Krisenexperimente sich verlieben kann, auch wenn es sich um den Cousin von Sybil handelt. Sieben Zigaretten sind zu wenig, um eine Wette zu gewinnen, und zu viel, um eine heisse Nacht zu wiederholen, und die Schweiz leidet an einer chronischen künstlichen Krise. Doch das sind bloss Nebengeschichten, kleine Fäden, die da eingesponnen sind in das Gewebe der grossen Gefühle. Aber sie sind nicht unwichtig, wie denn überhaupt das Lebensspiel, welches Christof Schertenleib für uns inszeniert, aus unendlich vielen kleinen Beobachtungen und Erlebnissen, die zu Gestalten werden, einen Namen erhalten und sich als Filmfiguren unsere Liebe erwerben.

Künstlich und alltäglich
Die besondere Kunst Christof Schertenleibs liegt nicht darin, dass es ihm schliesslich gelingt, Franz und Sybil in Liebe zu vereinen, sondern vielmehr im Mut, eine klar und transparent aufgebaute Anlage, die im positiven Sinne literarischen Charakter hat, mit Leben und vor allem Humor und Witz zu füllen und durch den Kameramann Hansueli Schenkel in sorgsam komponierte Bilder umzusetzen. Damit wird die Grenze zwischen gedachten und gelebten Personen aufgehoben, bis sich schliesslich auch die scheinbar gelebten als Romanfiguren erkennen. Ohne Hemmung wird die Technik mit einbezogen, sei es für grosse Gefühle und lange Wege im Zeitraffer oder für einen Regenbogen, eine Rosenwolke oder eine Sternschnuppe aus dem Computer. Mit Anne Weber, Stefan Suske, Manuela Biedermann, Markus Wolff, Delia Mayer, André Jung, Moritz Stäubli-Morelli und all den andern hat sich das ausgezeichnete Spielerteam mit Erfolg auf die Ideen Christof Schertenleibs eingelassen - und auf den Berner Rock von Stop the Shoppers, Stiller Has, Züri West und Rumpelstilz, mit deren Musik sie gut «leben» - und lieben. «Grosse Gefühle» - ein feines Heimspiel!

Cinema / Doris Senn

Zugegeben, warum sollten nicht auch Schweizer Filmemacher mit dem einmal bewährten Rezept den Erfolg ein zweites Mal herausfordern. Nicht lange ist es her, da begeisterte Christof Schertenleib Kritik und Publikum gleichermassen mit seiner subtil-ironischen, ebenso witzigen wie tragisch-realistischen Beziehungskomödie Liebe Lügen (1995), deren Protagonisten sich im emotionalen Hin und Her zwischen der Deutschschweiz und Österreich abstrampelten. Des Filmers neuestes Werk nun verweist unverhohlen schon im alliterativen Titel auf seinen erfolgreichen Vorläufer. Und auch sonst hat Schertenleib so einiges in seine neuste Produktion hinübergerettet: sei es inhaltlich die Liebeswelt zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die Reisen von hier nach da, die Fernbeziehungen so mit sich bringen, sei es formal das Konstruieren von Parallelgeschichten und die Verknüpfung durch grafische Inserts. Doch wie so häufig in Folgefilmen, bleiben bei Grosse Gefühle der launige Charme und die heitere Frische des Erstlings auf der Strecke. Und ob der grossen Erwartungen macht sich doppelte Enttäuschung breit.

Erzählt wird die Geschichte von Linus (Stefan Suske) - überzeugt monogam - und Christa (Anne Weber) - überzeugt polygam. Dazu kommen - in wechselnden Kombinationen - Linus′ «Verflossene» Ewa mit Sohn in Wien und Sybil, Buchhändlerin in Bern, deretwegen es Linus in die Schweiz gezogen hat. Weiter sind Christas Liebhaber André (im französischen Jura) und Sybils Traumprinz Franz, ebenfalls Buchhändler und in Bern, zu nennen. Die These lautet Monogamie versus Polygamie versus romantische Liebe. Die wechselnden Verwicklungen sollen das doppelte Spiel zwischen Sein und Schein, zwischen Anspruch und Realität aufdecken. So langfädig und papieren wie das tönt, kommt es leider auch im Film daher: Die Handlung schleppt sich hin, die Schauspieler chargieren aufgesetzt und oft an der Grenze zum Laientheater (Markus Wolff als Franz). Die Konflikte bleiben in ihrer Künstlichkeit mehr Behauptung als nachvollziehbare Krisen, die rar gestreuten Gags wiederholen sich endlos (wenn zum x-ten Mal die Sternschnuppen zuhauf über den Nachthimmel jagen). Ebenso wirken die Schauplätze, wo die verworrenen Liebesfäden in Grosse Gefühle gesponnen werden, weitgehend beliebig. Gesprochen wird - mit einem Schielen auf den Verleih im grossen deutschen Sprachraum - vorwiegend Hochdeutsch. Das mangelnde Lokalkolorit und insbesondere den mangelnden Drive können auch die eingespielten fetzigen Hits der Berner Bands Züri West oder Stop the Shoppers nicht wettmachen.

Neue Luzerner Zeitung

Schertenleibs zweiter Kinofilm, der die Leichtigkeit des Erstlings »Liebe Lügen« klar übertrifft, lässt uns in der Zauber des irdischen Lebens eintauchen, dass dann erträglich wird, wenn Wunder den Alltag bereichern.

Aargauer Zeitung

«Grosse Gefühle»: eine lockere Episoden-Komödie, ein klassisches «feelgood»-Movie.

SDA

Schertenleib versteht es, mit leichter Hand und komischem Talent intelligent zu unterhalten.

SIDE B