Anmerkungen des Regisseurs zu «Grossstadtprinzessin»

Ich bin in den 90er Jahren als Jugendlicher in Zürich aufgewachsen und habe die damalige Partykultur vor allem gegen Ende der 90er als Partyorganisator mitgeprägt – die Zeit des schier endlosen Feierns nahm da seinen Anfang, und das Kokain wurde zu dessen Motor. Da ich mich in dieser Zeit selber an der Peripherie dieser Drogen-Party-Szene aufgehalten hatte, erlebte ich Situationen, dessen tiefere Bedeutung mir zu dieser Zeit nicht klar war. Ich konsumierte Drogen mit Politikern, Anwälten und Polizeibeamten und fand dies ziemlich „cool“. Mir ist im Nachhinein klar, in dieser Szene deckt jeder jeden, zumindest solange wie er selber davon einen Nutzen hat. Aber im Notfall steht sich dann doch jeder selbst am nächsten.

Zürich hat gemessen an seiner Bevölkerung weltweit einer der höchsten Kokainkonsume vorzuweisen. Verwundern tut mich dies nicht: Zürich ist reich und ein Mekka der Finanzbranche. Trotz des hohen Kokainbedarfs hört man aber kaum je von Razzien und/oder Funden von grossen Kokainlieferungen - dies obwohl jeden Monat zentnerweise Kokain in die Schweiz und nach Zürich kommen. Vermutlich verdienen zu viele Leute daran.

Auch sind Drogenbanden und die Existenz dieses Milieus nach wie vor ein Tabuthema in der Schweiz. Korruptionsskandale im Rotlichtmilieu wie das „Chilli‘s Gate“ im Jahr 2013 sorgen nur für kurze Zeit für Furore. Unser hoher Lebensstandard und die Tugenden der Bescheidenheit und des Understatement sind hier ein entscheidender Vorteil: alles hat seine Ordnung, Reichtum fällt nicht auf.

2005 bin ich durch Zufall auf eine wahre Geschichte gestossen, die sich in solch einer Party- und Drogenszene der 90er Jahre zutrug. Eine junge Frau aus der Mittelschicht wird die Freundin eines Drogendealers und steht zwei Jahre später wegen Beihilfe zu Mord vor Gericht.
Zum ersten Mal traf ich die reale „Karin“ in ihrem Coiffuresalon beim Haare schneiden und freundete mich mit ihr an. Nach einigen Treffen im Salon schlug ich ihr vor, über ihr Leben einen Film zu drehen – die Idee gefiel ihr. In einem Café erzählte sie mir dann ihre ganze Geschichte.
Danach brauchte ich einige Tage, um zu verarbeiten, was ich gehört hatte. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass ein Schicksal wie jenes von der realen „Karin“ in der Stadt Zürich überhaupt möglich war! Gefangen in einem goldenen Käfig.

Hier möchte ich etwas weiter ausholen: Bis in die Achtzigerjahre hinein waren die Jugendkulturen gewillt, die Zukunft zu übernehmen. «Wir wollen die Welt, und wir wollen sie jetzt», sang Jim Morrison 1967. Dieser optimistische Furor war aus der Jugend- und Popkultur der Neunziger- und Nullerjahre verschwunden. Der Konsum und das „Feiern bis zum Umfallen“ war das neue Statement. Das grosse Geschäft mit Kokain und Extasy, den neuen Drogen nach dem Heroin, stand vor der Tür.

Die Banden mit ihren Dealern liessen nicht lange auf sich warten, das grosse Geschäft mit Kokain und Extasy, den neuen Drogen nach dem Heroin, stand vor der Tür.

Die Libanesen drangen zu Beginn der 90er Jahre mit rücksichtsloser Gewalt in den Zürcher Drogenmarkt und übernahmen den Handel und die Distribution von Kokain. Diese Vorherrschaft über das weisse Pulver sollte bis Ende der Neunziger Jahre dauern, als es der Polizei durch einen Zufall gelang, den Ring zu zerschlagen. Der Zufall hat einen Namen: Karin Balz, Coiffeuse in Ausbildung. Karin war die Freundin vom realen „Fedon“, dem Drahtzieher und Boss der libanesischen Mafia. Als dieser - am unerwarteten Ende seiner Herrschaft - auf der Suche nach neuen Drogenressourcen einen Nigerianer tötete und die Waffe durch Karin entsorgen liess, tappte die Polizei im Dunkeln, bis sie durch Zufall auf den Namen Karin Balz und ihre Telefonnummer stiess. Die naive Karin sang wie ein Vögelchen, welches sich über den hellen Klang der eigenen Stimme nicht bewusst war. Der Libanesen-Ring wurde gesprengt, und die nachfolgenden Banden liessen sich nicht zweimal bitten: Banden aus dem ehemaligen Jugoslawien, die Hellsangels und Sri-Lanker sprangen in die Bresche.

Dank dem Luxus und dem hohen Lebensstandard sind die heutigen jungen Menschen politisch nach wie vor träge und weit entfernt von den aktiven und unruhigen 80ern.  Das Interesse am Konsum und Feiern steht immer noch hoch im Kurs. Kein Wunder hat die Stadt Zürich deshalb über 600 Bars und Klubs, die das Rahmenprogramm für das Nachtleben bieten. Auch der hohe Kokainkonsum wundert dabei nicht.
Mit erschrecken stelle ich fest, dass heute viele junge Leute dieser Droge verfallen sind. Die Suchtgefahr von Kokain ist immens. Ist man einmal in den Fangarmen dieser Droge ist der Ausweg ein extremer Kraftakt.

Meine Motivation diesen Film zu machen hat daher zwei Gründe: die Suchtgefahr von Kokain aufzuzeigen und ungesunde Abhängigkeiten in einer Beziehung zu thematisieren. Ich habe tiefes Vertrauen in den Stoff und glaube an die Kraft der Geschichte, denn sie ist berührend und fesselnd – und basiert auf realen Begebenheiten.

In vielen Schweizer Haushalten herrscht physische und vor allem psychische Gewalt. 2011 wurden pro 10’000 weibliche Einwohner 15,9 weibliche Personen als Geschädigte von häuslicher Gewalt polizeilich registriert. Bei den männlichen Einwohnern waren es 4,9 Personen. Die Dunkelziffer dürfte um einiges Höher liegen.

Warum tun sich Menschen so etwas an? Was verleitet eine Frau wie Karin dazu, sich Fedon so bedingungslos hinzugeben, sich der Gewalt und seinen Launen auszusetzen, sich erniedrigen und missbrauchen zu lassen, obwohl sie unendlich darunter leidet?Was bringt Fedon dazu eine Frau, die er liebt, brutal zu verletzen?

SIDE B