Rezensionen / Presse zu «La femme de Gilles»



Irene Genhart, www.cineman.ch

Im Namen der Liebe

Frédéric Fonteyne erzählt mit betörender Bildlichkeit die tragische Geschichte einer einfachen Frau, die im Frankreich der 30er Jahre um ihr Glück und ihre Familie kämpft.

Es ist eine für einen Kinofilm ungewohnt schweigsame und introvertierte Protagonistin, die Frédéric Fonteyne («Une liaison pornographique») in «La femme de Gilles» vorführt. Aus der Arbeiterklasse stammend, ist Elisa ein „einfaches Gemüt“, wie man umgangssprachlich sagt, eine Frau, die - ganz im Gegensatz zu den eloquenten Helden, die «Une liaison pornographique» bevölkerten - vor sich hinlebt und kaum je ein Wort verliert.

Sie ist gewissermassen der Anti-Typ der modernen Frau von heute, diese Elisa, die Emmanuelle Devos mit brodelnder Expressivität spielt, dass es einem im Kinosessel den Atem schier verschlägt. Und um den Atem, Elisas Lebensschnauf, geht es denn auch in dieser Verfilmung eines von Madeleine Bourdhouxe 1937 veröffentlichten Romans, der in einem französischen Arbeiterkaff Mitte der 30er Jahre spielt. Etwas Zeitloses haftet der Geschichte an; tatsächlich ist sie in der heutigen westlichen Gesellschaft, in der mindestens die Hälfte aller Menschen so rastlos durch Partnerschaften und Ehen zappt, wie durch die Fernsehprogramme, kaum mehr vorstellbar.

Glücklich verheiratet ist Elisa zum Filmanfang. Kommt ihr Mann Gilles (Clovis Cornillac) morgens von der Arbeit nach Hause, gibt es einen Quickie, bei dem sie zwar nicht auf die Rechnung kommt, doch was solls: Elisa hat einen Gatten, zwei Töchter im frühen Primarschulalter und ist bald zum dritten Mal schwanger. Gross und grösser wird ihr Bauch im Verlaufe des den Jahreszeiten folgenden Films. Dieser spielt zur Hauptsache in der als Wohnraum dienenden Küche, in der Elisa kocht, putzt, flickt, wäscht und ihre Kinder betreut.

Er kommt ohne Rückblenden und ohne OFF-Stimmen aus und tastet sich, konsequent aus Elisas Sicht, an Ungeheuerliches heran. Eines Tages entdeckt sie, dass ihre jüngere Schwester Victorine (Laura Smet) und ihr Mann sich näher sind, als es sich für Schwager und Schwägerin geziemt. Der leise Verdacht, den Elisa wegen Gilles häufigen Barbesuchen seit einiger Zeit hegt, wird zu nagender Gewissheit. Doch sie bringt kein Wort über die Lippen. Bloss den Pfarrer besucht sie. Der aber erinnert sie an ihre Pflicht als Ehefrau. Also verschluckt Elisa ihre Tränen und sagt zu Gilles, sie warte, bis „es“ vorbei sei.

In Momenten irritierender Flüchtigkeit nimmt Fonteynes Film, der in Lichtgebung und Komposition unverhofft an die Gemälde Vermeers erinnert, das Scheitern seiner Heldin vorweg. Spannend bis zum letzten Bild ist dieser eine tiefe Reflexion über Liebe und Verrat - und ein kleines kinematographisches Meisterwerk.

Georges Wyrsch, www.mybasel.ch

Die schweigsame Betrogene

Ein tragisches Frauenschicksal wird nicht weinerlich, dafür aber gerecht dargestellt.

Beziehungsdramen sind stets eine heikle Angelegenheit für die grosse Leinwand. Viel zu oft verfallen Autoren und Regisseure der Vorstellung, dass das Medium Film solchen Geschichten nur mit grossen Gesten, langen Monologen und herzzerreissenden Schicksalswendungen beikommt. Dabei übersehen sie, wo sich die Tragik des Zwischenmenschlichen tatsächlich abspielt – in der Stille, im Dulden und im Versuch, dem Alltag trotz unsäglichem Kummer beikommen zu wollen.

«La femme de Gilles» des Belgiers Frédéric Fonteyne spielt im Arbeitermilieu der 30er Jahre und erzählt die Geschichte der schwangeren Elisa, die mit dem Verdacht leben muss, dass ihr Mann sie mit ihrer eigenen Schwester betrügt – während sie sich tagein, tagaus um die Familie und den Haushalt kümmert.

Es braucht ein grosses Talent, um aus einem solchen Stoff nicht einen bitteren, griesgrämigen und larmoyanten Film zu machen. Fonteyne gelingt dieses Kunststück: Genauso wie Elisa versucht, nicht die Fassung zu verlieren, filmt er feinfühlig, gerecht und fast verbotenerweise formschön, was sich in diesem Haushalt abspielt. Es gibt hier keine dezidiert leidende Märtyrerin und keinen karikiert randalierenden Säufer, sondern zwei Wesen, die ihre Entfremdung meist allein und manchmal gemeinsam aushalten müssen.

Fonteyne versteht offensichtlich die Gefühle, die er filmt – und es hilft, dass er mit Emmanuelle Devos eine immens talentierte Schauspielerin vor der Kamera hat, die wie einst die junge Isabelle Huppert zerbrechlich und dennoch charakterstark wirken kann. Man fiebert in jeder Szene von «La femme de Gilles» mit, weil diese Charaktere offensichtlich nicht Mittel zum Zweck einer Botschaft sind, sondern vielmehr Menschen, deren Züge und Verhaltensweisen man kennt und auch schon an sich selbst beobachtet hat.

Die Atmosphäre ist stickig, aber Fonteyne vergisst nicht, ab und zu gut durchzulüften. Seine Bildersprache ist unübersehbar von Malerei inspiriert, und seine Darstellungsweise von Gewalt und Sexualität ist gleichermassen zurückhaltend. Genau damit wird das Publikum aber hinters Licht geführt – eine unvergessliche Schlussszene erlaubt sich, die erschütternde Konsequenz des Geschehens als bittere Fussnote abzuhaken.

www.cineman.ch

Anachronistisch nimmt sich «La femme de Gilles» im heutigen Zeitalter hoher Scheidungsraten aus: In einem französischen Arbeiterdorf Mitte der 30er Jahre spielend, schildert der dritte Spielfilm des Belgiers Frédéric Fonteyne den irrwitzigen Kampf einer von ihrem Mann mit ihrer Schwester hintergangenen Frau um ihre Familie. Ganz aus der Sicht der von Emmanuelle Devos ausdrucksstark gespielten Gattin und dreifachen Mutter gefilmt, gelingt Fonteyne ein inhaltlich beklemmendes, in seiner Machart aber meisterhaftes Werk von betörender Intensität. 

Figaroscope

Der Belgier Frédéric Fonteyne macht aus einer banalen Liebesgeschichte eine tiefe Reflexion über Liebe und Verrat, die Leichtigkeit der Sinnesfreuden und die Kraft der Gefühle.

Variety

Ein faszinierender Blick darauf, wie man zwischenmenschliche Probleme in einer Zeit vor Selbsthilfebüchern und Paartherapie gelöst hat.

Première

Ein Film, in dem jedes Bild wie ein Gemälde inszeniert ist. 

SIDE B