Anmerkungen des Autors und Regisseurs Felix Tissi zu «Welcome To Iceland»

Haltung
Meine Filme werden immer wieder als eigenwillig bezeichnet. Mich freut das, denn Eigenwilligkeit mag zwar nicht unbedingt mehrheitsfähig sein, sie klingt aber dafür länger nach.


Intention
Zu allererst glaube ich an eines: an die Kraft guter Filme. Unsere Arbeit muss also in erster Linie als unterhaltender und gleichwohl anspruchsvoller Film überzeugen!
«Welcome to Iceland» ist in Absicht, Machart und Auswertung gezielt auf ein Arthouse- und Festival-Publikum in der Schweiz und im Ausland ausgerichtet. In einem fremden, jedoch von bekannten menschlichen Unzulänglichkeiten geprägten Kosmos spielt «Welcome to Iceland» zwar fernab, aber stets in unserer Sichtweite. Der Film könnte also auch «Welcome to Belgium», «Welcome to Switzerland» oder «Welcome to Liechtenstein» heissen. – Wenn es denn dort ein derart kraftvoll exemplarisches Setting gäbe.

So gehen wir annähernd ans Ende der Welt. Aber das hilft nichts, wenn uns die Zuschauer nicht folgen. Deshalb gilt es, eine geschickte Balance zu finden zwischen Konvention und Irritation, zwischen Realismus und Skurrilität, zwischen Komik und Tiefe. Wenn es uns durch Originalität und Überzeugungskraft gelingt, ausgetretene Pfade zu verlassen, haben wir mehr erreicht als manch anderer Film. Denn Sehgewohnheiten sind nicht selten auch Lebensgewohnheiten.

Wir streben das an, indem wir den Zuschauern einen Film vorschlagen, den jeder auf seine ihm eigene Weise sehen wird, bin ich doch überzeugt, dass sich ‚nachhaltige’ Filme nicht allein auf der Leinwand abspielen, sondern im magischen Raum zwischen Leinwand und Betrachter. Ich meine damit keinesfalls, dass der Zuschauer arbeiten soll – im Gegenteil, es soll ein Vergnügen sein, über sich selbst zu schmunzeln.
Zu diesem Vergnügen tragen wir bei, indem wir unseren eigenen Kosmos schaffen. Er ist Kino-kompatibel „bigger than life“, und gleichzeitig heruntergebrochen auf kleines Allzumenschliches, in dem wir uns wiedererkennen. – Für mich persönlich ist es das, was ich mir von einem Kinobesuch erhoffe: Erkenntnis durch Vergnügen und Vergnügen durch Erkenntnis.
«Welcome to Iceland» lebt im Wesentlichen vom einfachsten Gegensatzpaar überhaupt: Gross und klein.

Weiter aufgefächert heisst das, das Gegensatzpaar von (geradezu überwältigend grosser, aber überaus lebensfeindlicher) Natur einerseits und dem (hilflos kleinen) Menschen andererseits; von ewiger Gleichmut einerseits und tagtäglicher Sorge und Betriebsamkeit andererseits. Dieser Gegensatz ist derart eklatant, dass er allein schon auch ohne unser Zutun Absurdität hervorruft. - Für einen Film eine äusserst dankbare Aufgabe!
Aber selbst diese Attraktivität nützt sich irgendwann ab. Also reichern wir die Geschichte mit Individuen an. Wir kommen ihnen näher, fühlen mit ihnen mit, verstehen ihre Probleme. Aber was geschieht? – Wir stossen auf neue Skurrilitäten, diesmal einfach auf individueller Ebene...

So entwickelt sich der Film aus sich selbst heraus und bekommt ein Eigenleben. Dies ist für jeden Autor ein zauberhafter Moment. Der Film wird zum Gegenüber und drängt sich in unser Leben und in dasjenige des Zuschauers. - Nicht störend, sondern verstörend – im besten Fall betörend.

Thema und Hintergrundgedanken
In «Welcome to Iceland»  schickt ein völlig unterschiedlicher Gebrauch von Natur die drei Parteien auf den sprichwörtlichen Gang durch die Wüste: Die FAMILIE benutzt sie als Herausforderung, das junge PAAR als Fun- und Freizeit-Park, und GREGOR als pathetische Bühne für seinen Tod. - ...Nur blöd, haben sie sich dabei selbst mitgenommen...
In unserer alltäglichen Umgebung würden sich die drei unterschiedlichen Parteien wohl aus dem Weg gehen. Die Abgeschiedenheit jedoch zwingt sie, sich miteinander auseinanderzusetzen und fördert menschliche Probleme zutage. Wie wir alle, sind auch die sieben Figuren in ihren eigenen persönlichen Dramen gefangen. - «Welcome to Iceland» regt auf verspielte Art dazu an, sie nicht allzu wichtig zu nehmen.

Genauso unterschiedlich wie die Motivation in die Einsamkeit zu gehen, sind die Themen, die jede einzelne Figur auf persönlicher Ebene mitbringt. Es ist das Wesen dieses Projekts – wie von menschlichen Begegnungen überhaupt – dass unterschiedliche Themen aufeinander treffen, sich aneinander reiben und sich wechselseitig beeinflussen.

Allen Figuren gemeinsam und den ganzen Stoff durchdringend ist aber ein einziges universelles Thema: Beziehungen.
In unterschiedlichen Stadien und Lebensabschnitten spiegeln sie je einen Lebens- und Beziehungsentwurf wieder und fächern mögliche Entwicklungen auf: das junge Paar, das sich noch gar nicht richtig gefunden hat, weil beide sich selbst noch nicht gefunden haben. Um sich zu finden, müssen sie sich zuerst verlieren (wie Gregor so spöttisch sagt).
Das Paar, das sich zusammengetan hatte, um eine Familie zu gründen und sich darüber gegenseitig verloren hat.
Gregor ist jener, der sich nicht bindet, der glaubt, keinen zu brauchen und von keinem gebraucht zu werden. Bis buchstäblich im gegenseitigen Stützen von Alicia und ihm ein Vorwärtskommen überhaupt nur möglich wird.
Und schliesslich das minimal gesetzte, aber thematisch gewichtige alte Paar am Schluss des Films. Ihm wird die Erfüllung der romantischen Vorstellung des gemeinsam durch Dick und Dünn-Gehens, des glücklich zusammen Altwerdens zuteil. Sie machen das Spektrum komplett, und wer könnte besser von der Liebe und dem schweren Weg des Lebens singen, als jene, die es irgendwie „geschafft“ haben?

SIDE B