Anmerkungen des Regisseurs Sascha Weibel zu «Der letzte Sommer»

«Der letzte Sommer» erzählt den Versuch dreier Jugendlicher, sich in die Leistungsgesellschaft einzugliedern. Dieser Wille, schon mit Sechzehn an seine Zukunft zu denken, eine gute Position erringen zu wollen, ist eine deutliche Wertverschiebung im Bewusstsein der Jugendlichen in den letzten zwanzig Jahren.

In den Siebzigerjahren war es den Erwachsenen vorbehalten, die Härte der Konkurrenzgesellschaft zu erkennen und sich dieser Herausforderung zu stellen; Jugendliche hingegen konnte man damals mit Argumenten wie Arbeitslosigkeit, Armut und Ellbogengesellschaft nicht von einem etwaigen tieferen Sinn von Leistung überzeugen.
Heute ist der Kampf um die Sonnenplätze härter geworden, deshalb fängt er auch früher an: Eine Matura gilt nicht mehr als besonderer Erfolg, sondern immer mehr als notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine halbwegs gesicherte Position zu erringen.
Noch sind die Auswirkungen dieses Kampfes im Wohlstandsland Schweiz nicht sehr stark sichtbar. Im Bewusstsein der Menschen ist er aber überall spürbar, und was in den Köpfen steckt, wird früher oder später Wirklichkeit.

Das Vorurteil, Jugendliche seien in den letzten beiden Jahrzehnten materialistischer geworden, ist falsch. Wenn die Kids mehr Zeit mit Konsum verbringen, liegt das daran, dass sie keine Grabenkriege gegen altväterliche Moral mehr zu führen haben. Die "Geldgier" ist bei ihnen keineswegs dominanter als bei ihren Eltern: Schliesslich hat sich auch der allerletzte Steinewerfer der Sechzigerjahre inzwischen einen Wohlstandsbauch zugelegt, und das ist kein Vorwurf ist, sondern lediglich die konsequente Verwirklichung der Utopie von Freiheit, Glück und Sinneslust.

Auch die Meinung, die Jugendlichen seien allgemein angepasster geworden, ist so nicht richtig: Dass sie sich anpassen, liegt am schlichten Verlust von Freiheit, die in Zeiten der Vollbeschäftigung noch vorhanden war. Ein Dasein als Aussteiger war vor zwanzig Jahren viel leichter möglich: Einen Sommer lang Ziegen hüten, sechs Monate in der Stadt arbeiten, neun Monate nach Goa, und wenn man es satt hat, wieder zurück an einen anständig bezahlten Arbeitsplatz.
Das geht heute nicht mehr so leicht, weil der Wiedereinstieg viel schwieriger geworden ist: Heute ist man schon mit Dreissig nicht mehr in jedem Beruf jung genug, um frisch anzufangen, und es wird für jeden noch so unqualifizerten Job Berufserfahrung erwartet.

Dass Jugendliche in der Tiefe ihrer Seele heute keineswegs angepasster oder materialistischer sind als zu anderen Zeiten, zeigt sich darin, dass sie ihre Werte mit ebensolcher Sturheit verfolgen wie ihre Eltern vor zwanzig Jahren, und dass sie heute an sozialer Unsicherheit ebenso leiden wie frühere Generationen an kirchlicher Zwangsmoral.
Früher wollten Jugendliche mit dem Kopf durch die Wand in die grosse weite Welt hinaus.
Heute wollen sie mit dem Kopf durch die Wand in eine halbwegs gesicherte Zukunft.
Den Kopf blutigschlagen kann man sich an beiden Wänden.
«Der letzte Sommer» erzählt, wie es dazu kommen kann.

SIDE B