Rezensionen / Presse zu «Die Tunisreise»

Fred Zaugg, "Der Bund", 15. September 2007


Klees Offenbarung der Farbe im Maghreb

Wenn die Uraufführung eines Films im Zentrum Paul Klee vor geladenen Gästen aus Kino- und Kunstwelt stattfindet, muss es sich wohl um ein Werk handeln, in dem sich die unterschiedlichen Ausdrucksformen begegnen und verbinden: «Die Tunisreise» von Bruno Moll thematisiert Begegnungen.

Sie fand vom 5. bis zum 22. April 1914 statt, jene «Tunisreise», die in die Kunstgeschichte eingegangen ist und Bruno Molls Film den Titel gegeben hat. Unternommen haben sie die drei Künstlerfreunde Paul Klee, Louis Moilliet und August Macke. Ihre Fahrt in den Maghreb ist nicht nur genau datierbar, sondern auch durch Tagebucheintragungen und heimgebrachte Werke wie kaum eine andere Künstlerreise belegt und somit auch heute noch nachvollziehbar.

Was sie jedoch zu etwas ganz Besonderem macht, ist das Erleben Paul Klees, des Ältesten der Gruppe. Für ihn wurde die Reise zum prägenden Eindruck und zu einem Wendepunkt in seinem Leben und Werk. Als Offenbarung der Farbe könnte die tiefe persönliche Erfahrung bezeichnet werden. Doch auch die Begegnung mit der Architektur, mit der Form, dem Ornament und dem Zeichen veränderten sein Schaffen, seine Auseinandersetzung mit der Realität, seinen Bildaufbau, kurz: seine Sprache als Maler. Die Begegnung mit Tunesien schenkte Paul Klee die befreiende Erkenntnis: «Ich bin Maler.»

Begegnung mit Klee
Für den tunesischen Filmemacher, Maler, Erzähler, Poeten und Philosophen Nacer Khemir hat die Begegnung mit dem Werk Paul Klees eine ähnlich tiefe, lebensbestimmende Bedeutung wie für jenen die Reise nach Tunesien. Schon mit zehn Jahren habe er erstmals Bilder von Klee gesehen, und er glaube noch heute, dass Paul Klee es gewesen sei, der ihm «la clé» zur westlichen Kultur auf visueller Ebene gegeben habe. Nun ist es Nacer Khemir, der uns in seine Kultur führt und damit eine Möglichkeit schafft, auch wieder etwas von Klees Faszination vor bald hundert Jahren zu spüren.

Mit seinem Film bricht der Schweizer Filmschaffende Bruno Moll damit aus der kunsthistorischen Betrachtung und Wertung aus und offeriert Begegnungen. Klar steht dabei die Begegnung mit Paul Klee, der durch seine Aquarelle und Tagebucheintragungen präsent ist, im Zentrum und bestimmt die Route, diejenige der Reise und die andere zu seiner Kunst. Begleitet wird das Publikum jedoch von Nacer Khemir, dem Tunesier, der durch Vertrautes führt, wenn er den Spuren Klees folgt und noch die bunteren Farbschichten von einst auf den Hausmauern auszumachen versucht. Klee soll ein bunteres Tunesien gesehen haben.

Mumifizierte Schafherde
Dabei wird Klees Weg auch zu Khemirs Weg. Dieser bringt sowohl seine Biografie, seine Weltheimat als auch sein Schaffen, etwa seine Filme «Bab Aziz», «Das verlorene Halsband der Taube» und «Die Wanderer der Wüste» oder sein Zeichnen ins Spiel. Und während der Reise entsteht auf dem Sandstrand langsam eine Installation, eine weisse mumifizierte Schafherde.

Nacer Khemir macht die engen Gassen, die Paläste, die Gärten und Terrassen zur Bühne, auf der er von Klee und von seiner Kultur, seinem Glauben und seinen Träumen von Farben und Frieden erzählt.

Tunis, Karthago, Sidi Bou Said, Hammamet und Kairouan sind Stationen der Reise Klees und seiner Freunde. Die Orte sind fassbar in Klees Tagebuch und in seinen Werken, kleinen Blättern, bunten Architekturen, Farb- und Lichtspielen. So sind sie Geschichte. Durch die Bilder des Kameramanns Matthias Kälin und die Kommentare Nacer Khemirs werden sie Gegenwart, das Meer, die Stadt auf dem Berg, die Mauer, das Haus des Gastgebers Doktor Jäggi, der Wind in den Palmen.

Die Balance
Auf wunderschöne Weise ist Bruno Moll mit seinem Film eine Balance der Zeiten gelungen. Das Gestern von Paul Klee wird bedeutsam im Heute, und das Heute Nacer Khemirs gründet in mancher Hinsicht im Gestern. Nicht nur im Gestern der Begegnung mit Klee, sondern mehr noch in der Geschichte seiner Kultur, des Islam mit seinem Bilderverbot, das eigentlich nur eine Warnung vor Götzenbildern ist, des Maghreb mit seinen Zeichen, seinen Farben und seinem Licht. Ein Brückenschlag in verschiedener Hinsicht findet statt: zwischen Okzident und Orient, Nord und Süd, zwischen Menschen und zwischen ihrem Schaffen. «Das Verbindende» will Bruno Moll aufzeichnen, sich «den Möglichkeiten» von Bildern annähern.

Wenn uns Nacer Khemir die arabische Welt und den Islam, seinen Islam des Friedens und des Zusammenlebens, näher bringt, öffnet uns Matthias Kälin mit seinen Bildern die Augen für jene Märchenwelt der Mauern, Gärten und Wüsten, die einst Klee befreit haben, Traumzonen.

«Die Tunisreise» ist ein Film, von dem man sich mitnehmen lassen muss. Ihn als Dokumentarfilm zu bezeichnen, wäre falsch. Es ist eine feine Inszenierung von Gedanken und Gesichtern, von Bildern und von Klängen: Johann Sebastian Bach scheint auf wie die arabischen Ornamente. Eine Reise ins Staunen.

 

 

Alexandra Stähelin, "Neue Zürcher Zeitung", 21. September 2007


In der Farbe versinken

Im April 1914 unternimmt Paul Klee mit seinen Freunden August Macke und Louis Moilliet eine zweiwöchige Studienreise nach Tunesien, die sein Schaffen nachhaltig verändern wird. Der später als «Tunisreise» in die Kunstgeschichte eingegangene Aufenthalt in Nordafrika führt Klee, wie seine kontemplativ-begeisterten Tagebucheinträge kommentieren, buchstäblich zur Erleuchtung - zu einer neuen Begegnung mit Licht und Farbe, die, wie er einige Jahre später festhält, «den Grund zu einer neuen Koloristik» legt. Die von Klee beschriebene Offenbarung eines davor nie gesehenen Schauspiels, das die arabische Landschaft und Architektur mit ihren wechselnden Lichtverhältnissen und sinfonischen Farb-Form-Rhythmen bieten, wirkt sich im Schaffen des Künstlers als ein weiterer Schritt zur Abstraktion hin aus: Klees Aquarelle und Zeichnungen entfernen sich nach der Reise noch weiter von jeglicher Gegenständlichkeit, wobei die Komposition der einzelnen Elemente auf dem Blatt jetzt stärker einer kosmischen Logik zu folgen scheint.

Nacer Khemir als Cicerone
Zugleich bestätigen die tief erlebten Eindrücke in Tunesien auch das Wissen um eine Berufung. So vertraut Klee seinem Reisetagebuch unter dem Datum des 16. Aprils jenes Verschmelzungserlebnis an, das bald zu den meistzitierten Beobachtungen der Klee-Forschung werden sollte: «Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief in mich, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiss. Die Farbe hat mich. Ich brauch nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farben sind eins. Ich bin Maler.»
In seinem essayistischen Dokumentarfilm «Paul Klee - Die Tunisreise» folgt der Schweizer Filmemacher Bruno Moll fast hundert Jahre später noch einmal den Stationen von Klees tunesischer Erweckung in einer ungewöhnlichen Versuchsanordnung. Denn Molls Film lässt nicht einfach in einer dokumentarischen Spurensuche die Tagebuchzitate des Künstlers auf Bilder des heutigen Tunesiens prallen, vielmehr vermittelt er uns von Klee besuchte Orte in einem geschickten Perspektivenwechsel aus der Sicht des Gastlandes: Der tunesische Filmemacher und Geschichtenerzähler Nacer Khemir, der hierzulande mit Filmen wie «Le collier perdu de la colombe» oder «Bab' Aziz» bekannt geworden ist, begleitet uns als philosophischer Reiseführer durch Tunis, Kairouan und Hammamet mit seinen Kommentaren zur arabischen Architektur und Kunst.

Khemirs Erzählungen setzen dabei dem Exotismus und den Orientprojektionen, die die drei Künstler auf ihrer Reise nicht zuletzt auch in den Rotlichtvierteln von Tunis ziemlich kraftvoll ausgelebt haben müssen, einen sanften Kontrapunkt; zugleich aber leuchten im Laufe dieser Filmreise auch immer wieder erstaunliche Parallelen zwischen okzidentalem und orientalischem Bildschaffen auf, zwischen Klees Suche nach der Urformel der Schöpfung und Khemirs poetischer Kosmologie. Wenn dieser etwa über die Leere als ein Moment der Demut in der arabischen Kunst nachdenkt, dann hallt darin wie ein farbengesättigtes Echo Klees Auffassung nach, dass Abstraktion eine Verbeugung vor dem Absoluten sei. Und wenn der dem Sufismus nahestehende Filmemacher erklärt, dass die strenge Symmetrie der arabischen Architektur auf das Spiegelverhältnis zwischen Jenseits und Diesseits, zwischen Urbild und Abbild verweise, dann öffnet sich sofort eine Verbindung zur theosophisch angehauchten Mystik Klees, die sich zur Aufgabe gemacht hat, das Unsichtbare im Sichtbaren aufschimmern zu lassen.

Spirituelle Luftbrücken
Diese spirituellen - und durchaus fröhlich vergeistigten - Luftbrücken zwischen Nord und Süd gehören zu den schönsten Momenten von Molls Film. Der Höhenflug bricht allerdings auch hin und wieder ein, wenn ausgerechnet in diesem Film, in dem das Thema der Farbe so wichtig ist, die dazwischen montierten Ausschnitte aus Khemirs Filmen wegen technischer Mängel nur in schummrigen, fahlen Farbtönen erscheinen. Oder wenn der Erzähler Khemir - der nach eigenen Angaben im Alter von 12 Jahren in einer Klee- Ausstellung ergriffen beschlossen habe, selbst Künstler zu werden - manchmal zwischen seine weitumfassenden Gedanken unvermittelt etwas müde Allgemeinplätze streut. Dennoch gibt das sich erst langsam entfaltende melodische Nebeneinander der Kontraste in diesem mit einfachen Mitteln produzierten Dokumentarfilm einen inspirierenden Einblick in visuelle Leidenschaften, über die man gerne mehr erfahren möchte.

 

 

Nina Scheu, "TagesAnzeiger", 21. September 2007


Der Künstler als Vermittler zwischen den Kulturen


Der Oltner Dokumentarfilmer Bruno Moll hat sich mit dem tunesischen Maler, Bildhauer und Filmemacher Nacer Khemir auf die Spuren von Paul Klee in Tunesien begeben.

Was bringt einen Schweizer Dokumentarfilmer – und dazu noch einen wie Bruno Moll, der sich bisher vor allem mit Klang- und Wortkünstlern auseinander gesetzt hat – im Jahre 2007 dazu, einen Film über Paul Klee zu drehen? Einen Film notabene, der sich auf eine nur zwei Wochen dauernde Reise des Künstlers bezieht, die diesen im April 1914 zusammen mit seinen Malerkollegen August Macke und Louis Moilliet nach Tunesien geführt hat. Ist über Klee und sein Werk nicht längst alles gesagt und geschrieben worden? Braucht es da noch Bilder?

Auch wenn er ganz prinzipiell kein Problem darin sieht, das Werk eines bildenden Künstlers in die Sprache des Films zu übersetzen – "Es ist ja auch legitim, Bilder mit Worten zu beschreiben, warum sollte man das nicht auch mit filmischen Mitteln tun?" – habe er zunächst gezweifelt als die Idee an ihn herangetragen worden sei, gesteht Bruno Moll: "Ich wollte ganz bestimmt nicht ins übliche Muster verfallen und Postkarten oder Klee-Bilder abfilmen, hatte aber auch kaum dokumentarisches Bildmaterial zur Verfügung", erklärt er. "Was mich aber schon immer interessiert hat, sind Perspektiven: Der Blick auf ein Thema und dessen Wirkung." Darum suchte er ein Gegenüber, das im Film als Mittler zwischen dem Bild und seinem Betrachter, zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen Orient und Okzident auftreten könnte. Ein tunesischer Künstler sollte es sein, mit dem er Klees Reise aus heutiger Sicht wiederholen wollte.

Der Zufall fügte es, dass just zu diesem Zeitpunkt Nacer Khemir zu einem Vortrag über den Einfluss von Paul Klees Werk auf sein eigenes nach Bern eingeladen worden war. Khemir, selbst Maler, Bildhauer, Erzähler und Filmemacher («Das verlorene Halsband der Taube», «Bab'Aziz»), erklärt seine Faszination so: "Das Essenzielle liegt hinter dem Sichtbaren. Und Klees Bilder machen Dinge offenbar, die dem blossen Auge verborgen bleiben. Das ist das wahre Wesen der Kunst."

Darum gehe es ja auch in Bruno Molls Film «Die Tunisreise»: "Nicht die Vergangenheit ist das Thema, sondern ihr Bezug zu unserer Realität." Und Bruno Moll ergänzt: "Die aktuelle Frage lautet doch: wie sehen wir den Orient und wie sieht er uns?" Paul Klee sei dem Fremden gegenüber sehr offen gewesen: "Das hat mir gefallen." Ähnlich empfindet es Nacer Khemir, der sich selbst weniger als einen Wanderer zwischen den Kulturen sieht, denn als Nomaden, der überall zu Hause sei: "In der Kunst und im Leben gibt es keine Grenzen, die existieren nur auf dem Papier."

 

 

Sabine Altorfer, "Aargauer Zeitung", 8. September 2007

«Die Tunisreise» von Bruno Moll ist ein doppeltes Künstlerporträt, eine «Begegnung» über Jahrzehnte hinweg: Zum einen ist der Film eine Hommage an Paul Klee, dem eine Reise nach Tunesien 1914 zur künstlerischen Befreiung, zur Abstraktion und zur Farbe verhalf. Und zum anderen ist sie ein Porträt über den tunesischen Filmemacher Nacer Khemir, der von Klee beeinflusst wurde und der uns Klees Reisestationen und sein eigenes Tunesien zeigt.

Klee ist mit Texten aus seinen Tagbüchern und natürlich mit Werken vertreten. Deren leuchtende Farben, die einfachen Einteilungen und kleine Figuren in weiter, abstrakter Landschaft korrespondieren bestens mit den liebevoll gestalteten Filmaufnahmen von Häusern, ornamentalen Details oder Landschaften. Zentral sind die Gedanken von Nacer Khemir über das Wesen eines Bildes und besonders spannend über die unterschiedlichen Bildauffassungen von Orient und Okzident.

Trotzdem denkt man manchmal, weniger Khemir und mehr Bilder aus Tunesien würden dem Film guttun. Ausser wenn Szenen aus Khemirs Filmen («Les baliseurs du désert», «Le collier perdu de la colombe» und «Bab’Aziz») zeigen, wie Khemir selber mit Bildern umgeht. Die Poesie und die orientalische Bildhaftigkeit seiner Filmsprache ziehen in Bann und am liebsten würde man sich diese Spielfilme gleich (wieder) anschauen. Diese Ausschnitte beweisen (...): Stark ist ein Film, der erzählt, und nicht, wenn in ihm über etwas erzählt wird.

 

 

Janina Labhardt, "Basler Zeitung", 20. September 2007


Der Maler und der Maghreb


Im April 1914 reiste der Berner Künstler nach Tunesien. Die dort gewonnenen Eindrücke prägten sein weiteres Schaffen nachhaltig, vor allem spiegelten sich die gewonnenen Inspirationen durch Farben, Formen und Licht des Maghreb in Klees Werken wider. Die unternommene Reise stelle einen Wendepunkt in seinem Schaffen dar, erklärt der tunesische Filmemacher, Erzähler und Maler Nacer Khemir. Er nimmt im Film eine kommentierende Funktion ein. Als erfolggekrönter Filmemacher des Sufi-Märchens «Bab’Aziz» sieht sich Khemir als Weltreisender, der zwischen Orient und Okzident vermittelt.
Er charakterisiert die beiden Welten als «Binärsituation»: Wenn Okzident und Orient nicht da wären, gäbe es keine Zukunft, keine Kommunikation. Selber werkt und wirkt der Maler Khemir mit ähnlichen Bild- und Gestaltungselementen wie Klee.

ÜBERVOLL. Klees Tagebuchnotizen zeigen seine blumigen und verschnörkelten Gedanken. «Der Gegenstand war die Welt», schreibt er da zum Beispiel, «wenn auch nicht die sichtbare. Ein Auge, welches sieht, das andere, welches fühlt.» Gelesene Zitate und szenische Filmausschnitte werden in den blockartig montierten Kunstdoku eingespielt. Sie zeigen Tunesien in Klees Reisejahr 1914: das Treiben auf den tunesischen Strassen, auf Märkten und in Hinterhöfen › Klees Tagebuchnotiz «Ich bin übervoll» veranschaulicht, wie er satt mit Eindrücken in sein Malatelier zurückkehrte. «Die Tunisreise» bereichert geduldige Kunstinteressierte, die in Klees Welt der Farben, Licht- und Schattenspiele eintauchen wollen.

 

 

"Liechtensteiner Volksblatt", 20. September 2007


Die Tunisreise


1914 reiste der Schweizer Maler Paul Klee nach Tunis – eine Reise, die ihn veränderte. Fast 100 Jahre später wandelt der von Klees Werk stark beeinflusste tunesische Filmemacher Nacer Khemir in «Die Tunisreise» auf seinen Spuren.

Der Maler Paul Klee unternahm 1914 eine Reise nach Tunesien, die ihn nachhaltig beeinflusste. Nun folgt der tunesische Filmemacher, Erzähler und Maler Nacer Khemir im Film von Bruno Moll den Spuren Klees und lädt uns ein auf eine Entdeckungsreise in den Maghreb, hinein in die arabische Kultur. Er zeigt uns Orte, Formen, Farben und Licht, erzählt von seiner Arbeit und von Paul Klees Faszination, er denkt über die Beziehungen zwischen Okzident und Orient nach.

Für den Maler Paul Klee war die Tunisreise 1914 ein entscheidender Wendepunkt in seinem Schaffen. Nacer Khemir, der zuletzt mit seiner Sufi-Reise «Bab'Aziz» begeisterte, verbindet mit der Schweiz einen Namen ganz besonders: den des Künstlers Paul Klee. Der Berner Maler hat den Tunesier früh schon fasziniert, hat sein eigenes Schaffen spürbar geprägt. Vom ersten Moment an war er denn auch von der Idee des Schweizer Filmemachers Bruno Moll begeistert, Klees Tunisreise anhand der Tagebuchnotizen nachzuvollziehen und aus dem Heute heraus zu betrachten. Der Film begleitet Khemir auf eine Reise in seine eigene Vergangenheit und in die Kultur und Geschichte seines Landes.

Diese Reise in den Orient verbindet zwei Künstler, die der Welt mit offenen und wachen Sinnen begegnen. Khemir versteht es, als Weltenreisender eine faszinierende Vermittlung zwischen Orient und Okzident zu schaffen. Wir tauchen in Klees Bild- und Gestaltungselemente, erfahren über seine Reise den Blick auf Tunesien aus einer Zeit, die den Tourismus noch nicht kannte. Khemir erläutert uns die Zeichen, die diesen Teil der Welt prägen und von denen Klee viele aufgenommen hat. Die Verbindung zwischen dem europäischen und dem maghrebinischen Blick, eingefangen in wunderbaren Bildern, weitet unsere Sinne und lässt uns wie nebenbei die arabische Welt und jene des Islams neu wahrnehmen. Eine bereichernde Begegnung und eine lohnende Reise.

 

 

Marina Schmidt, www.zenithonline.de, Mitte September 2007

Die Farbe hat mich

Die Lichtverhältnisse am tunesischen Golf inspirierten schon viele europäische Künstler. Auch in den expressionistischen Malern Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet weckten sie 1914 während ihrer berühmten Reise nach Tunesien eine unvergleichliche Kreativität.

Verwinkelte Steingassen, sonnengebleichte Moscheen, wolkenloser Himmel, türkisfarbenes Wasser auf weißem Sand – und üppige Haremsdamen, die bunt verschleiert zu einem Abenteuer auf paillettenbestickten Kissen einladen. So farbenfroh und sinnlich wollten Europas Künstler des 19. Jahrhunderts den Orient sehen. Zum Glück lieferte dieses Bild nicht nur Stoff für schwülstige Abenteuerromane, sondern lockte auch drei junge europäische Maler in die Ferne: Paul Klee, August Macke und Louis René Moilliet.

Als die drei Expressionisten im April 1914, drei Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, von Marseille aus in See stachen, rückte die Politik mit jeder zurückgelegten Seemeile in weite Ferne.
Die berühmten Haremsdamen waren sicherlich nicht das Motiv ihrer Reise. Stattdessen hofften sie dort vor allem eines zu finden: Lichtverhältnisse, die alles zuvor Gesehene in den Schatten stellten. Tatsächlich wirkten die auf die drei Künstler so inspirierend, dass diese heute als ein Glanzpunkt der expressionistischen Malerei gilt.

Schon bei ihrer Ankunft im Hafen von Tunis inspirierte die Künstler das Stadtbild mit seinen kubischen Häusern, Kuppelbauten und den Sonnensegeln dazwischen. Auch die islamische Kunst mit ihrer Flächigkeit und ihren Ornamenten erregte das Interesse der Künstler. Im Almanach Der Blaue Reiter träumt Macke: „Die Kreuzung zweier Stile ergibt einen dritten, neuen Stil … Europa und der Orient.“ Die Weiterreise nach Sidi Bou Saïd machte Paul Klee, der zuvor vor allem als Zeichner gearbeitet hatte, endgültig zum Maler. Während das Rot der Abendsonne mit den leuchtenden Blautönen des Himmels zu einem satten Violett verschmolz, schrieb er in sein Tagebuch: „Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiß. Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“

Auch August Macke inspirierte das blau-weiße Küstenstädtchen ungemein. Hier entstand sein Werk «Blick auf eine Moschee» mit dem Café des Nattes im Vordergrund. Um Gegensatz zu Klee hatte er den Weg zur Farbe längst gefunden und vollendete ihn nun. So schuf er innerhalb kürzester Zeit über hundert Zeichnungen und 38 Aquarelle, die heute als Musterbeispiel der Eigendynamik von Farbe gelten. Weiter ging die Reise nach Hammamet, an dessen altertümliche Stadtmauern man nachts die Wellen klatschen hört und dessen Hafen Paul Klee zeichnet. Und als die drei Europäer sich dem Inland zuwendeten und in Kairouan Halt machten, ergriff auch Moilliet endlich der Enthusiasmus der zwei Deutschen: Hier entstehen Moilliets Kairouan-Aquarelle.Bei Mackes Traum vom „dritten Stil“ sollte es allerdings bleiben. So scheint der große künstlerische Gewinn nur einseitig stattgefunden zu haben. In Sidi Bou Saïd, noch immer das verschlafene Künstlerdorf wie vor knapp hundert Jahren, finden sich keinerlei Spuren der drei Maler – nicht eine einzige Postkarte mit Abbildungen von Mackes «Blick in eine Gasse» oder Klees «Mondaufgang von St. Germain/Tunis».Die TunisreiseAm 22. September erscheint der Dokumentarfilm «Die Tunisreise». Regisseur Bruno Moll begleitet darin den tunesische Filmemacher Nacer Khemir, der in seinem Heimatland auf den Spuren der drei Künstler durch Tunis, Sidi Bou Saïd, Hammamet und Kairouan wandelt. Khemir sucht dabei nicht nur nach Gemeinsamkeiten zwischen sich und seiner großen Inspiration, Paul Klee, sondern fragt auch nach der – künstlerischen - Beziehung zwischen Orient und Okzident. «Die Tunisreise» verbindet zwei künstlerische Lebensgestaltungen in unterschiedlichen Zeiten.

Link zu ZENITH online: www.zenithonline.de

 

 

Trudy Baumann, "züritipp", 38/2007, 20. September 2007


Verwandte im Geist

Zwei Künstler, eine Reise: Der tunesische Filmemacher Nacer Khemir reist auf den Spuren des grossen Berner Malers Paul Klee (1879 – 1940) durch sein Heimatland.

Zwei Wochen nur verbrachte Paul Klee im April 1914 in Tunesien. Für sein weiteres Kunstschaffen aber waren sie zentral. Die Studienreise, die er mit seinen Malerfreunden August Macke und Louis Moilliet unternahm, führte unter anderen zu folgendem euphorischen Tagebucheintrag: "Die Farbe hat mich. Sie hat mich für immer. Ich und die Farben sind eins. Ich bin Maler."

Im Dokumentarfilm des Oltners Bruno Moll kommt Klee hauptsächlich durch solche O-Töne aus dem Tagebuch, die im Off gelesen werden, zu Wort. Dazu sehen wir leinwandfüllend Zeichnungen und Aquarelle, die Klee in dieser Zeit gemalt hat. Der Einfluss des nordafrikanischen Landes auf die Farbgebung und die Bildarchitektur werden so augenfällig.

Der eigentliche Vermittler von Klees Kunst und dessen Tunisreise ist jedoch Nacer Khemir. Er malt auch, ist hier zu Lande aber in erster Linie als Filmemacher bekannt (Bab'Aziz). Mit ihm als eloquentem Rieseführer gehts nach Tunis, Sidi Bou Said, Karthago, Hammamet und Kairouan. Er erzählt Wissenswertes über Kultur und Geschichte Tunesiens, wie das Bilderverbot des Islam zu verstehen ist und was es mit der Verschleierung in der muslimischen Gesellschaft auf sich hat.

Dabei schlägt er immer wieder den Bogen zu Klee, der in seinen Augen die Kultur seines Landes im Kern erfasst und somit eine Art Schlüssel zu ihr geschaffen hat. Khemir ist aber auch ein poetischer Erzähler. So bezeichnet er Kairouan als eine Stadt, die träumt. In diese Stadt zu kommen, sei wie in ein Gemälde einzutauchen. Dabei verweist er auf den lila Farbanstrich der Häuser, und wir können nachvollziehen, was er meint. Der Tunesier ist ein weiser Übersetzer des Orients für den Okzident.

 

 

SIDE B