Anmerkungen des Regisseurs Roman Meyer zu «Gottfried Honegger – on doit construire le monde»

Das erste Mal begegnete ich Gottfried Honegger an einer Vernissage im Haus Konstruktiv in Zürich. Ich wusste erst nicht, wer dieser ältere Herr war, der zwar etwas zaghaft, aber voller Vitalität durch die Ausstellung ging. Seine Präsenz im Raum und seine Kritiken an den ausgestellten Werken zogen mich in Bann. Nie zuvor hatte ich an diesen - meist doch etwas elitären - Ausstellungen jemanden erlebt, der so klar und einfach und doch so differenziert und voller Lust über abstrakte Kunst geredet hat. Ich hatte einige "Aha-Erlebnisse".
Das obligate Cüpli-Glas verschmähte er, und nach einer halben Stunde verabschiedete er sich "französisch", bevor ich ihn in ein Gespräch verwickeln konnte.

Ein Ausstellungsbesucher klärte mich über Gottfried Honegger auf und nach ersten Recherchen wurde nicht nur die Bedeutung von Honegger für die zeitgenössische Kunst deutlich, sondern auch, dass er als streitbarer Geist mit vielen wichtigen Persönlichkeiten aus Kunst und Politik des vergangenen Jahrhunderts auf die eine oder andere Art Kontakt gehabt hatte.

Ich konnte es kaum glauben, dass dieser "Dinosaurier" aus einer anderen Zeit mitten unter uns weilt, ich wollte und musste ihn unbedingt kennen lernen und bat ihn kurzerhand um ein Interview.
Mein erster Eindruck hatte mich nicht getäuscht, Gottfried Honegger hat keine Berührungsängste. Er sagte mir am Telefon gerade heraus: "Wissen Sie, eigentlich habe ich keine Zeit für solche Sachen, ich würde lieber arbeiten, aber in meinem Alter möchte man Spuren hinterlassen, und vielleicht ergibt sich ja etwas aus Ihrem Interview, wann wollen Sie vorbei kommen?“
Zwei Tage später sass ich in seinem Zürcher Atelier und führte ein angeregtes Gespräch mit ihm.
Mit viel Witz, aber auch mit sehr klaren Worten erklärte er mir seine Sicht der Dinge.
"L'art pour l'art" ist ihm ein Gräuel, die Kunst hat für ihn vielmehr einen politischen Auftrag, prägnant zusammengefasst in der wichtigsten Prämisse seines Schaffens; "on doit construire le monde".

Stellungnahmen und eine Haltung von solcher Deutlichkeit sind indes selten geworden in der heutigen Kunstszene, Engagement und politisches Bewusstsein im Zuge der Globalisierung und Ökonomisierung der Kunst augenscheinlich den Mechanismen des Marktes gewichen.

Nicht so in der Generation von Gottfried Honegger - aufgewachsen in der Zeit zwischen den Kriegen bezog man politisch Stellung. Das tut Honegger nach wie vor, unermüdlich, auch in seinem hohen Alter. Tag für Tag ist er in seinem Atelier anzutreffen, zeichnet und malt, macht Entwürfe und Modelle, schreibt aber auch viele kritische und manchmal böse Briefe an Bundesräte, Kunsthausdirektoren, Zeitungen und Personen des öffentlichen Lebens oder hält Vorträge über konkrete Kunst.

Gottfried Honegger beeindruckt mich nicht nur als engagierter und gesellschaftskritischer Künstler, sondern vereint in sich auch Widersprüche, die ich mit einem dokumentarischen Porträt über seine Person und sein Werk aufgreifen und zur Diskussion stellen möchte.

Als Zeitzeuge eines Jahrhunderts, in dem sich unsere Welt nachhaltig verändert hat, lässt Honegger uns teilhaben an seinem Leben, erzählt aus erster Hand vom Geist der "Landi" von 1939, für die er einen Pavillon gestaltet hat, über seine Aktivdienstzeit während des Zweiten Weltkriegs als einfacher Soldat an der Grenze oder welche Auswirkungen die Bespitzelung von übereifrigen Staatsschützern auf den Alltag haben konnte.

Die Lebensgeschichte von Gottfried Honegger, ihre Vielseitigkeit und ihre Gegensätze, fasziniert mich:
Wie kommt ein einfacher Bub aus dem Zürcher Arbeitermilieu nach einer Lehre als Schaufensterdekorateur beim Konsum Verein Zürich dazu, das später für die zeitgenössische Kunst wichtige Haus Konstruktiv in Zürich mitzubegründen? Warum widmet er sich gerade der konkreten Kunst, findet damit weltweit Anerkennung – und präsidiert etwa die Jury des Bauprojekts Parc de la Villette im Auftrag des französischen Präsidenten François Miterrand und geht im Elysee-Palast ein und aus – wird aber in der Schweiz kaum zur Kenntnis genommen? Warum tut sich Honegger mit dieser Ignoranz schwer und möchte in den Museen ausgestellt werden, wenn er doch findet, Museen seien die Friedhöfe der Künstler?

Diesen und anderen Fragen möchte ich im Film «Gottfried Honegger – on doit construire le monde» nachgehen und die Gelegenheit ergreifen, mit dem 90-jährigen streitbaren Künstler einen der womöglich letzten Zeitzeugen einer politisch aktiven, engagierten Künstler- und Intellektuellengeneration zu porträtieren.

SIDE B